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Lehrermangel aus Schulleitungssicht, oder: Burnout eines Systems
Mai 2023
In unserer Grundschule zeichnete sich der Lehrermangel bereits einige Jahre früher ab, als er medial wahrgenommen wurde. Besonders bei Fächern wie Musik zeigte sich dies deutlich, doch da Lehrkräfte in der Grundschule prinzipiell alle Fächer unterrichten können, schien das Problem zunächst geringfügig. Dennoch war die Qualität des Musikunterrichts teilweise suboptimal, was allerdings nur wenige bemerkten. Ähnliches galt z.B. für den Sport- und Englischunterricht.
Die ersten wirklichen Beschwerden von Elternseite trafen ironischerweise ein, als wir keinen katholischen Religionsunterricht mehr anbieten konnten. Doch der Mangel an Lehrkräften wurde erst wirklich spürbar, als wir gezwungen waren, Klassen zeitweise von Studenten leiten zu lassen, da der Markt leergefegt war. Dann erst realisierten die meisten, dass es ernst wird. Obwohl wir intern schon länger mit dem Mangel an professionellen Lehrkräften zu kämpfen hatten, schien es nach außen hin bislang so, als hätten wir alles unter Kontrolle.
Die Fähigkeit, fast jeden Lehrer in allen Fächern einzusetzen, kann eine Menge kompensieren, aber es leidet darunter die Qualität des professionellen Umgangs. Es ist immer von Vorteil, ausreichend Lehrkräfte zu haben, die didaktisch in einem Fach sehr bewandert sind. Nur dann ist es nicht so problematisch, wenn man Lehrkräfte im Team hat, die fachfremd unterrichten. Wenn eine Schule eine gute Teamarbeit etabliert hat, in der Wissen geteilt wird, kann ein hoher professioneller Standard weiterhin gewährleistet werden.
Das wird jedoch kritisch, wenn in der Schule einige Professionen und didaktisches Wissen gar nicht mehr vorhanden sind oder die Anzahl der gut ausgebildeten Lehrkräfte nicht ausreicht, um die Vielzahl an fachfremd unterrichtenden Lehrkräften mit didaktisch fundiertem Wissen rund um die Unterrichtsplanung zu versorgen. Erfahrungsgemäß funktioniert das eine ziemlich lange Zeit gut, bis es einen kritischen Punkt gibt, an dem die Situation plötzlich kippt.
Die Folge: Individuelle Differenzierung im Unterricht findet kaum noch statt, denn sie erfordert ein hohes didaktisches Verständnis vom jeweiligen Unterrichtsgegenstand. Es wird viel aus dem Schulbuch heraus unterrichtet, da es als Stütze dient, wenn das didaktische Grundverständnis fehlt. Lernschwierigkeiten bleiben länger verborgen und werden zu spät erkannt, da dafür ein geschultes Auge benötigt wird. In der Regel findet mehr "klassischer" Unterricht statt, anstatt innovativer Unterricht.
Die Verantwortung der ausgebildeten Lehrkräfte ist ungleich höher, je mehr fachfremd unterrichtende Lehrkräfte oder gar nicht ausgebildete Lehrkräfte in den Schulbetrieb integriert werden müssen. Mit der Zeit konnte ich beobachten, dass in Phasen, in denen wir viel fachfremdes oder nicht ausgebildetes Personal an der Schule hatten, der Krankenstand unter den etablierten ausgebildeten Lehrkräften stark anstieg. Dadurch entsteht eine Dynamik, die die Gesamtsituation weiter verschärft. Je mehr die fachfremd unterrichtenden Lehrkräfte auf sich allein gestellt sind, desto mehr Fehler passieren, was die Qualität des Unterrichts und letztlich auch das Lernen der Schüler beeinträchtigt. Umso mehr muss das "Stammpersonal" die Scherben wieder zusammenkehren, desto höher der Arbeitsaufwand und umso höher die Ausfallquoten. Wir hatten Wochen, in denen neben dem ohnehin vorhandenen Mangel, in dem Stellen einfach offen blieben, rund ein Viertel des Stammpersonals on top noch krank war.
Endlich wurde der Mangel an Grundschullehrern auch in den Medien zum Thema. Ich wurde beispielsweise in der Tagesschau dazu befragt, was meine Vorgesetzten nicht besonders amüsierte. Ich hatte damals jedoch das Gefühl, dass die Tragweite der Problematik nicht ausreichend beachtet wurde. Tatsächlich besteht auch schon seit langem ein dringendes Problem bei den Förderschullehrkräften, das durch die Inklusion noch verstärkt bzw. sichtbarer wurde.
In Hessen, um ein konkretes Beispiel zu nennen, werden sowohl die Förderschulen als auch die Regelschulen aufrechterhalten, was bedeutet, dass sowohl die Förderschulen als auch die Regelschulen mit Förderschullehrkräften versorgt werden müssen. Es besteht jedoch seit langem ein Mangel an Förderschullehrkräften. Als meine Schule vor einigen Jahren mit der Inklusion begann, hatten wir nur wenige Schüler und eine volle Stelle für eine Förderschullehrkraft, die uns unterstützte.
Nach ein paar Jahren hatte sich die Zahl der Schüler fast vervierfacht, die zugewiesenen Stunden von Förderschullehrkräften hatten sich jedoch nur verdoppelt. Hinzu kam, dass diese Stunden nur zur Hälfte von ausgebildeten Förderschullehrkräften besetzt werden konnten. Da aber nur diese Lehrkräfte Tests und Diagnostik durchführen dürfen, verbrachte die Förderschullehrkraft fast nur noch mit Tests Berichte schreiben etc., während die Unterstützung im Unterricht von gering qualifizierten Kräften durchgeführt wurde.
Auf dieser Basis ist es extrem schwierig, eine gute, individuelle Förderung zu gewährleisten, sowohl für Kinder mit als auch ohne Förderbedarf. Das Ziel der Prävention ist es eigentlich, dass Schüler erst gar keinen Förderbedarf benötigen. Dazu ist jedoch viel Unterstützung notwendig. Der Lehrermangel führt dazu, dass genau diese Unterstützung als erstes wegfällt. Vorrang haben die Kinder, die bereits diagnostiziert wurden. Am Ende haben also viel mehr Kinder eine Diagnose, als vielleicht notwendig gewesen wäre, was eine weitere Verschärfung der Situation und eine Art Abwärtsspirale in Gang setzt. Es gibt immer mehr Kinder mit diagnostiziertem Förderbedarf und von Jahr zu Jahr immer weniger Förderschullehrer, die ihre Stunden verteilen können.
Guter Unterricht ist nicht einfach nur durch die Formel: Stunden in Klassen = Stunden der Lehrkraft abzubilden. Es ist ein ganzer Organismus, der auf vielen Ebenen vernetzt ist. Zumindest wenn man den Anspruch an einen Unterricht hat, der in einer sehr heterogenen Schülerschaft jede Schülerin / jeden Schüler optimal unterstützt und fördert. Für eine Weile kann man aus Sicht der Schulleitung noch das ein oder andere Pflaster über die Stellen kleben, an denen es bröckelt. Irgendwann werden daraus klaffende Wunden, dann werden ganze Gliedmaßen amputiert. Schulentwicklung fand nicht mehr statt, im Gegenteil. Projekte, die wir als Versuch umsetzten, langfristig etwas zu verändern, wurden schrittweise zurückgefahren. Damit wir uns besser fühlten, hieß es dann: "Wir pausieren das nur!"
Bis heute wurden sie nicht wieder in Angriff genommen. Die ersten Jahre in der Schule kämpfte ich dafür, die Schule voran zu bringen, dann wurde es ein Kampf um den Status Quo zu erhalten und die letzten Jahre war es ein Rückzugsgefecht. Und ja, der Lehrermangel ist letztlich der Sargnagel gewesen, der für viele liebgewonnene Projekte das Todesurteil war. Grundschulen in der Inklusion trifft der Lehrermangel doppelt, weil wir auch den Lehrermangel in der Förderschule zu spüren bekommen, der schon viel länger grassiert, aber keine Aufmerksamkeit findet, was fatal ist.
Ich bin ausgestiegen, als ich das Gefühl hatte, das Ganze nicht mehr tragen und nicht mehr verantworten zu können. Es war nicht der einzige Grund, aber einer, der ziemliches Gewicht hatte. Rede ich heute mit denen, die ich im System noch kenne, hat sich leider nicht viel verändert.
Osterferienprojekte in Scratch
April 2023
Es hat eine schöne Tradition in den Osterferien kleine Scratch-Projekte zu entwickeln. Für dieses Jahr fehlt mir noch die Idee, die kommt vielleicht noch.
Das letzte Projekt war ein Spiel zum Üben der 1x1-Reihen. Ein leidiges Thema in der Grundschule. In dem kleinen Spiel geht es darum, mit dem kleinen Flugzeug die Ergebniszahlen abzuschießen, die zur ausgewählten 1x1-Reihe gehören. Für richtige Zahlen bekommt man Punkte. Schießt man die falsche Zahl ab, gibt es Punktabzug.
Schafft man es nicht, eine richtige Zahl abzuschießen und sie kollidiert mit dem Flugzeug, kostet das ein Leben. Mit der Zeit steigert sich das Tempo, man startet ganz easy und mit der Zeit wird es schneller.
Geschossen wird mit der Leertaste. Das Flugzeug kann mit den Pfeiltasten um die eigene Achse gedreht werden. Wer es gleich hier ausprobieren möchte: Einfach auf die grüne Flagge klicken.
Meine Schüler:innen durften es früher ausprobieren und es wurde für gut befunden.
"Star Car"
Dieses Projekt entstand seinerzeit in Kooperation mit meinem Sohn. Ein klassisches Rennspiel, welches man zu zweit spielen kann.
Ziel des Spiels ist es, mehr Sterne als der Gegner einzusammeln. Dabei sollte man aber nicht mit Kakteen oder Krabben kollidieren (und natürlich auch nicht mit dem Gegner).
Scratch ist eine tolle Möglichkeit, mit Grundschulkindern in die Thematik Programmieren einzusteigen. Sicher, Scratch ist für den Bildungskontext entwickelt und mit den klassischen Programmiersprachen nicht zu vergleichen. Aber Kinder entwickeln erste Ideen, was die Programmlogik angeht und sie werden angeregt, eigene Ideen zu entwickeln. Durch Ausprobieren nähern sie sich dem Endprodukt an und trainieren dabei auf der Metaebene ihre Problemlösefähigkeiten.
Also, auf die grüne Fahne klicken und es geht los!
Grundschullehrkräfte / Grundschulen gesucht
März 2023
Ich suche Grundschulen, vorzugsweise im Rhein-Main-Gebiet, die sich im Bereich Digitalität auf den Weg gemacht haben, oder machen möchten. Dabei ist es unerheblich, wie weit Ihr auf Eurem Weg bereits seid.
Die ganze Zeit treibt mich schon um, dass ich wieder mehr Inhalte entwickeln möchte. Der Digitalbereich boomt, nicht zuletzt dank AI u.ä. Neben Themen der Fehlerkultur, Lerncoaching etc., ist das das zweite Herz, welches in meiner Brust schlägt. Immerhin bin ich auch bei den Pacemakern unterwegs. (Die feiern übrigens dieses Jahr 5-jähriges Jubiläum! 🎉)
Da ich nicht nur Themen in meinen Fortbildungen erzählen möchte, die andere entwickelt haben, will ich zu meinen Kernthemen zurück: Grundschule und Digitalisierung. Ich möchte hier Angebote entwickeln, die an der Praxis orientiert sind.
Was suche ich?
Grundschulen oder einzelne Lehrkräfte. Für eine Vorort-Betreuung gerne im Rhein-Main-Gebiet. Alternativ bundesweit, da erfolgt die Betreuung aber überwiegend online, je nach Entfernung.
Es sollte die Bereitschaft da sein, Digitalität in den Unterrichtsalltag zu implementieren und sich diesbezüglich auszutauschen (ca. alle 2 Monate). Mir geht es dabei vor allem darum, wie eigenständiges Arbeiten durch Digitalität sinnvoll unterstützt werden kann und SuS ihre Medienkompetenz verbessern können.
Folgende Vorhaben kommen in Frage:
- Entwicklung eines schuleigenen Digitalkonzepts
- Unterrichtsvorhaben mit Fachbezug oder ohne
- Projekte in Projektwochen, AGs o.ä.
Wie will ich vorgehen?
Ich frage den IST-Stand der Schule / Lehrkraft zu Beginn über einen Fragebogen ab. Wir entwickeln dann das Vorhaben im gemeinsamen Gespräch. Von mir könnt Ihr Impulse und Unterstützung während des Prozesses erwarten. Gerne komme ich auch mal zur Durchführung vorbei. Es kann nach den Osterferien losgehen und ich nehme mir bis Jahresende Zeit dafür.
Was habt Ihr / was hat die Schule davon?
Ihr bekommt professionelle Begleitung und Unterstützung kostenfrei. Da ich weiß, dass so ein Projekt aber immer auch mit Zusatzarbeit verbunden ist, bekommt die Schule oder die Lehrkraft von mir 3 Coachingstunden geschenkt, die individuell genutzt werden können. Das Thema kann hierbei frei gewählt werden.
Was brauche ich?
Ich benötige die Bereitschaft, die Arbeitsergebnisse anonymisiert teilen zu wollen. Dabei achte ich selbstverständlich auf Wahrung des Datenschutzes und der Persönlichkeitsrechte.
Weiterhin benötige ich Eure Anmeldung über das Kontaktformular.
Bilanz ziehen: 1 1/2 Jahre nach dem Ausstieg - Richtige Entscheidung?
Februar 2023
Eineinhalb Jahre ist es nun her, dass ich meine Schule verlassen und aus der Verbeamtung ausgetiegen bin. Häufig werde ich gefragt: Bereust du die Entscheidung? Zeit für einen Zwischencheck:
➡️ Gesundheit: weniger Kopfschmerzen / Migräne ✅, mehr Schlaf ✅, mehr Bewegung ✅, weniger Stresssymptome ✅. Gesündere Ernährung ✅: Mein Körper dankt es mir, dass der schier unerschöpfliche Quell an Schokolade (Merci!), Kuchen und ähnlichem aka "Lehrerzimmer" nicht mehr zur Verfügung steht. Der Tag beginnt im Idealfall mit Yoga und auch sonst habe ich in den letzten Jahren als Schulleiterin nicht annähernd so viel Sport gemacht, wie in der Zeit danach.
➡️ Auftragslage: Fachartikel schreiben ✅, Fortbildungsveranstaltungen ✅, Webinare ✅, pädagogische Tage ✅. Nach einer Anlaufphase ging es los, mit dem Schreiben von Fachartikeln, Fortbildungen und pädagogischen Tagen für die Heraeus Bildungsstiftung und die Pacemaker Digitalinitiative. Aktuell arbeite ich an einem Projekt für Fobizz, für die ich schon Webinare machen durfte. Über diese Homepage und das Fortbildungsportal der Hessischen Lehrkräfteakademie biete ich eigene Fortbildungen an, für die sich langsam auch eine Nachfrage entwickelt. Das dürfte natürlich noch gerne mehr sein, die harte Arbeit die sich hierin verbirgt, besteht darin, sich eine ordentliche Reichweite aufzubauen. Mein Credo bei eigenen Konzepten ist: Fortbildungen erstellen, die ich als Lehrerin selbst gerne besucht hätte.
➡️ Alltag oder auch Work-Life-Balance: Mehr Zeit für Hobbys ✅, Urlaub ✅, mehr Zeit für die Dinge, die mir gut tun ✅. Von einem mehrheitlich durchgetakteten Alltag, der vor allem weitestgehend fremdbestimmt war, hin zu einem selbstbestimmten Alltag. Ich würde sagen: Work in progress 🚧. Für mich, als eher chaotisch-kreative Person ist hier sicherlich Verbesserungspotential. Teil des Prozesses ist es aber auch, zu akzeptieren, dass man in einem Prozess ist und den inneren Kritiker zwar anzuhören, aber nicht zum neuen Stressfaktor werden zu lassen. Die Richtung stimmt und unter dem Strich kann ich sagen, dass das Fehlen eines äußeren Antreibers / Stressoren mir mehrheitlich hilft. Ich muss nur mir und meiner Erwartungshaltung Rechenschaft ablegen, was schon schwierig genug ist, aber deutlich besser zu bewältigen, als das davor. Zugegeben, dieser Punkt ist sehr individuell und hier wird es im Empfinden die häufigsten Unterschiede von Person zu Person geben.
➡️ Also alles tutti? Natürlich gibt es auch ein paar Baustellen, Dinge die fehlen: Fachlicher Austausch 🚧, Arbeit mit Kindern ❌. Die Arbeit mit Schüler:innen fehlt mir tatsächlich etwas. Über die Pacemaker dufte ich in Klassen an Projekttagen arbeiten und es hat Spaß gemacht. Außerdem fehlt mir auch der fachliche Austausch, ein(e) Sparringspartner:in. Ich habe einen Haufen Ideen im Kopf und da ist es einfach schön mit jemandem drüber zu sprechen, daran feilen zu können. Jemand der sagt, wo es in die richtige Richtung geht und was Mumpitz ist. Aber: Nur weil es jetzt (noch‼️) nicht so ist, heißt es ja nicht, dass es nicht noch werden kann. Definitiv ein Punkt, an dem ich arbeiten will.
Wenn ich für pädagogische Tage an Schulen gehe und mich dem Kollegium vorstelle, erzähle ich kurz meine Geschichte. Am Punkt, bei dem ich meinen Ausstieg erwähne, sehe ich in den Gesichtern Reaktionen von Häh?, Oha!, Echt jetzt?, Respekt! in der vollen Bandbreite. Kommt mir so ein bisschen vor, als würde ich enthüllen, dass ich auf die andere Seite der Macht gewechselt bin. Und was soll ich sagen: Auf dieser Seite gibt es weniger Merci-Schokolade, aber es fühlt sich gut an. 😎
Grundschulalltag - die ungeschönte Wahrheit Teil 1
Juli 2022
Disclaimer: Dieser Beitrag ist eine Reaktion auf Äußerungen des Philologenverbandes, die just durch die Presse gingen. Alles daran macht mich fassungslos und auch wütend. Zudem finde ich es traurig, dass es viele Menschen zu geben scheint, die das als wirklichkeitsgetreue Beschreibung dessen sehen, was in Grundschulen Alltag ist. Darum fasse ich mal ein paar beispielhafte Tage zusammen, aus einer Zeit, als ich noch Konrektorin und Klassenlehrerin einer 4. Klasse war. Die Ereignisse haben sich so ereignet, aber alle Namen, Umstände etc. sind verändert. Schüler:innennamen sind frei erfunden und geben keinerlei Rückschluss auf Person, Herkunft, Geschlecht usw.
Morgens 7.30 Uhr an einer Frankfurter Grundschule. Ich stehe vor dem Vertretungsplan. Als Konrektorin muss ich noch etwas basteln, da ich seit einer halben Stunde weiß, dass Frau Blume und Herr Baum auch noch fehlen, zusätzlich zu den drei anderen fehlenden Kolleg:innen. Alle Studenten durchtelefoniert, aber keine(r) hat Zeit. Also Doppelsteckungen auflösen, Klassen aufteilen. Schweren Herzens gebe ich die Förderschulkollegin ab, die eigentlich in der 1. Stunde bei mir mit in meiner Klasse wäre, aber sie muss in die Klasse der 1/2, da sie sonst unbeaufsichtigt sind. Die 3. Klasse kann ich aufteilen. Eine Kollegin muss in der Freistunde ran, die Kollegin ist sauer, mir fällt aber keine andere Lösung ein. In der 4. Stunde sind noch zwei Klassen ohne Vertretung, die Mittel sind ausgeschöpft, also bestimme ich eine Kollegin, die mit ihrer und den zwei anderen Klassen auf den Hof geht um sie zu beaufsichtigen. Anders geht es nicht.Soweit alles geklärt, noch 5 Minuten, ich muss eigentlich noch kopieren. Ich bitte die Kollegin, meine Klasse schon mal aufzuschließen und werfe wenigstens die wichtigsten Blätter in den Kopierer und hechte dann in den 1. Stock.
Meine Klasse sitzt schon fast, ein Gruß an die Kollegin, es kann losgehen. Morgenkreis, Wochenplan besprechen. Die Kinder machen das fast von alleine, ich höre zu, schaue mir ein paar Schüler:innenarbeiten an. Außerdem muss ich mit den Lernhilfekindern improvisieren, da meine Förderschulkollegin ja nicht da ist. Es wird laut auf dem Flur. Ich höre eine Männerstimme. Die Tür geht einen Spalt auf, eine Schülerin der Nachbarklasse. "Kannst du mal kurz kommen, Frau Apfel braucht Hilfe." Ich nicke der Klassensprecherin zu: "Weitermachen!". Die Tür lasse ich auf und gehe auf den Gang, mit einem Auge im Klassenzimmer. Ein Mann streitet lautstark mit Frau Apfel, die sichtlich fertig mit den Nerven ist. Ich stelle mich als Schulleitung vor und weise zum Einen auf die Lautstärke und zum Anderen auf den bereits begonnenen Unterricht hin. Beides interessiert ihn nicht, sein Sohn wird angeblich ungerecht behandelt, geschlagen und Frau Apfel täte nichts dagegen. Ich gehe nicht darauf ein, weise darauf hin, dass ein Gesprächstermin nach der Schulzeit gefunden werden muss. Er wird ausfallend. Ich schicke Frau Apfel zurück in die Klasse um sie aus der Schusslinie zu bringen, der Herr baut sich jedes Mal vor ihr auf und drängt sie in die Ecke. Im ruhigen, aber ernsten Tonfall informiere ich ihn, dass ich von meinem Hausrecht gebrauch mache und ihn des Gebäudes verweise. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass meine ganze Klasse muksmäuschenstill dem "Theater" folgt. Er weigert sich, ich drohe an, mein Hausrecht mit Hilfe der Polizei durchzusetzen. Gedämpftes "Uiuiuiuiuiuih" aus meiner Klasse. Er geht endlich. Ich sehe schnell nach Frau Apfel, sie ist völlig am Ende. Ich schicke sie ins Lehrerzimmer, um sich zu beruhigen, an Unterricht ist so nicht zu denken. Ich mache die Türen beider Klassen weit auf, verteile einfache Aufgaben, die alle selbständig erledigen können und pendel den Rest der Stunde zwischen beiden Klassenräumen hin und her.
2. Stunde: Mathematik. Einführung schriftliche Divison (tatsächlich, kein Witz, wir machen das wirklich, auch wenn es anders behauptet wird). Einstieg mit gemeinsamen Aufgaben an der Tafel. Nach ein paar Durchgängen haben einige das Prinzip schon verstanden und langweilen sich, sie dürfen an den Platz zurück und die Aufgaben im Buch schon rechnen. Mit dem Rest übe ich weiter, dabei wird die Gruppe immer kleiner. Zum Schluss bleibt ein kleiner Kern von 8 Schüler:innen, der sich immernoch schwer tut. Was zum größten Teil daran liegt, dass sie auch nach bald 2 Jahren kontinuierlichem Üben die 1x1-Reihen immernoch nicht auswendig können. Sie dürfen mit Anschauungsmaterial weiter arbeiten. Die Lernhilfekinder haben Aufgaben zum 1x1, sie sind noch nicht so weit. Simon legt den Kopf auf den Tisch. Er rechnet seit 10 Minuten alleine, kann aber nicht mehr. Auch Fritz kann nicht mehr, aber statt den Kopf auf den Tisch zu legen, ärgert er seine Sitznachbarin. Ich vermittle in beiden Fällen. Margarete verliert in den Aufgaben immer wieder die Orientierung, wodurch es permanent Rechenfehler gibt. Lisa, Justin, Ahmed und Maria sind schon lange fertig, sie dürfen ihr Zusatzmaterial zur Bruchrechnung weiter bearbeiten. Simon hat 5 Aufgaben gerechnet und kommt nicht weiter, er ist frustriert und malt sein Heft an. Ich setze mich eine Weile zu ihm, eigentlich müsste ich mich noch zu Fritz und Margarete setzen, die Stunde ist aber bald um. Henry mein ESE-Kind (Förderbedarf emotional-soziale Entwicklung) hasst Mathe und bringt das laut und in blumiger Sprache zum Ausdruck. Die Klasse kennt das und reagiert nicht mehr drauf, was mich 1 1/2 Jahre Arbeit gekostet hat, damit Henry nicht mehr jede Stunde sprengt.
In dieser Stunde hat Henry eine Aufgabe gerechnet, verweigert ab sofort jegliche Mitarbeit, sein Heft ist schon im Ranzen. Wie mit seiner Mutter vereinbart schreibe ich ihr eine Mitteilung über den Verlauf der Stunde. Gerne hätte ich mich noch mehr mit ihm beschäftigt, aber die Zeit ist um, große Pause. Henry ist draußen, sobald das erste Blinkzeichen aufleuchtet. Ich schreibe die Mitteilung fertig und gehe dann schnell ins Lehrerzimmer. Schnell Kaffee kochen, mit Kolleg:innen Termine vereinbaren, kurzer Austausch mit der Förderschulkollegin. Kurzer Tumult, da eine Aufsicht zu wenig, Herr Tisch hat nicht auf den Vertretungsplan geschaut. Geklärt, Pause fast um. Noch 2 Kühlpacks und 1 Pflaster verteilen, dann geht es weiter.
3. Stunde Deutsch bei den Erst- und Zweitklässlern. Felix und Karina hatten einen Pausenstreit, Felix weint und lässt sich nicht beruhigen. Ich versuche zu klären, da sich Felix weigert in die Klasse zu gehen. Während ich also herausfinde, dass die Ursache des Streits war, dass Felix Karina an den Haaren gezogen hat, was er lustig fand und sie ihn darauf blöd genannt hat. Er behauptet auch noch, sie hätte ihm ein Bein gestellt. Nach weiteren 5 Minuten stellt sich endlich heraus, dass das Bein eine Wurzel war. Währenddessen höre ich, wie die Klasse drinnen über Tische und Bänke geht, bislang ohne Sach- und Personenschaden. Immer wenn ich einen ernsten Blick in die Runde werfe, verlangsamt sich das Chaos um kurz darauf wieder Fahrt aufzunehmen.
Endlich ist der Streit geklärt, Felix schmollt zwar noch, sitzt aber immerhin schon mal an seinem Platz. Lisa muss auf's Klo und da die Kinder immer zu zweit gehen, braucht sie gefühlte 3 Minuten um zu entscheiden, dass Leyla mitgehen soll. Ich versuche Ordnung in die Angelegenheit zu bringen. Leisezeichen, das Signal, dass sich nun alle fokussieren sollen. Es gelingt halbwegs. Luisa und Jens muss ich daran erinnern, was ein Leisezeichen bedeutet, Miriam kruscht noch im Ranzen, Luis kippelt und wäre fast vom Stuhl gefallen, Mohammed meldet sich die ganze Zeit aber ich will erstmal Ruhe in der Runde um einen guten Anfang zu machen. Ich bin fast durch, nur noch vier weitere Kinder daran erinnern, dass sie nun leise sein sollen und nach vorne schauen. Endlich. "Guten Morgen" und das Begrüßungsritual. Mohammed hält es nur noch schwer aus, dass er bislang nicht dran genommen wurde. "So, Mohammed, da wir uns nun begrüßt haben und du so gut gewartet hast, was ist denn?" - "Das Datum an der Tafel ist falsch." Kurzer Check, stimmt. Also Datumsdienst, kurzer Tumult, da sich keiner daran erinnern will, wer es denn diese Woche ist. Der Name beim Datumsdienst ist noch von letzter Woche. Verflixt, schon eine Viertelstunde um. Ich vertage um der Deutschstunde willen die Datumsfrage auf die vierte Stunde bei der Klassenlehrerin. Bei den Kleinen sind Routinen und feste Rituale sehr wichtig, da viele Kinder es sonst schwer haben, sich auf den Unterricht einzulassen. Darum nehmen solche Dinge immer einen großen Raum ein und müssen irgendwo noch reingequetscht werden.
Fortsetzung folgt...
Nach dem Burnout zurück an die Schule?
Dez 2021
Wie ist das, geht man nach dem Burnout an die alte Schule zurück? Was macht das mit Kollegium und einem selbst?
Mehrere Monate wegen Burnout ausgefallen und dann an die Schule zurück? Diese Frage stellt sich, wenn die Krankschreibung sich dem Ende zuneigt. Zunächst ist das sicherlich eine Frage, die jede(r) individuell vor dem Hintergrund der eigenen Situation entscheiden muss. Wenn die Situation an der eigenen Schule mit ein Auslöser des Burnout war, z.B. durch Konflikte o.ä. dann ist es sicherlich nachvollziehbar, nicht dorthin zurück zu gehen. Ich kann nur berichten, wie es in meinem Fall war. Als meine Krankschreibung zu Ende ging wurde ich von meiner Dienstvorgesetzten gefragt, bzw. sie hat mir die Option eröffnet, mich versetzen zu lassen oder ans Schulamt zu gehen. Letzteres kam für mich gar nicht in Frage.
Über die Versetzung habe ich nachgedacht, aber in meinem Fall war es nicht so, dass die Schule und die Menschen darin das auslösende Moment meines Burnouts war. Somit stand ich vor der Wahl, irgendwo neu anfangen mit allen Chancen aber auch Widrigkeiten. Zur Auswahl stand nur eine Schule, bei der ich auf absehbare Zeit wieder alleine in der Schulleitung gewesen wäre. Da eine solche Situation ein Auslöser meines Burnout war, wäre es mir recht unsinnig erschienen, mich in die gleiche Situation zu begeben, während an meiner alten Schule endlich die Stelle der Konrektorin besetzt war. Irgendwie hatte ich auch das Gefühl, an meiner Schule noch "nicht fertig" zu sein. Ich ahnte durch die therapeutische Begleitung schon, dass sich langfristig was ändern musste, aber ich wollte die Dinge ordnen und dann mich dann orientieren. Ich wägte ab und es gab einige Pluspunkte, die für mich den Ausschlag gaben:
✅ Ich kannte die Situation und wusste somit, was mich erwartet.
✅ Ich wusste ein zum großen Teil sehr motiviertes Kollegium vorzufinden.
✅ Ich konnte auf einiges an Grundlagenarbeit bauen, die schon geleistet worden war.
Ich bin zurück
Der Tag, an dem ich zur Schule zurückkehrte, war seltsam, keine Frage. Ich machte mir auch keine Illusionen darüber, dass die ganze Geschichte meiner Erkrankung aufgrund meiner Position mit dem ganzen System etwas gemacht hatte, immerhin war ich recht plötzlich ausgefallen. Was mir Halt gab, war die Tatsache, dass ich weiterhin therapeutisch begleitet wurde.
Trotzdem musste ich mit ein paar Glaubenssätzen aufräumen, die sich zu manifestieren begannen und ich traf auf ein seltsames Mischmasch an Emotionen. Meine Strategie war: Flucht nach vorne. Ich wollte nicht, dass Spekulationen den Umlauf machten und so war ich die ganze Zeit sehr offen damit umgegangen, was mir fehlte und wie es dazu gekommen war. So war ich peinlich auf eines Bedacht: Konsequent die Zügel darüber in der Hand zu behalten, wie es mir ging, was mit mir gemacht wurde.
Ich startete mit halber Stundenzahl und war, anders als früher, sehr darauf bedacht, diese auch einzuhalten. Was in der Zeit nicht zu schaffen war, war eben nicht zu schaffen. Das war vor allem eine selbsttherapeutische Maßnahme, eine Art Selbsterziehung. Mir war sonst klar, sobald ich mit voller Stundenzahl wieder arbeitete, musste ich mich hierbei selbst im Griff haben, sonst hätte das über kurz oder lang wieder bedeutet, wieder in die gleiche Falle zu tappen, die u.a. zur Erkrankung führte.
Als zweite Maßnahme gestaltete ich meine Freizeit sehr bewusst, legte mir z.B. feste Sporttermine und beschloss, dass diese ab sofort "heilig" waren. Es sollte also die absolute Ausnahme sein, dass diese ausfallen mussten. Diese Maßnahme sollte verhindern, dass sich mit der Zeit das ganze Privatleben dem Beruf wieder unterordnet und dass ich im Kopf behielt, dass Termine, die mir gut tun, auch wichtig sind.
Mit Mythen aufräumen
Ein paar Dinge musste ich direkt umkrempeln, als ich zurück kam. Ich versuchte, meinem Personal das sachlich und transparent zu erklären, blieb aber bei meiner klaren Haltung. Dazu gehörte auch folgender Mythos:
"Ich habe als Schulleitung nicht 24/7 Bereitschaftsdienst!"
Ich legte fest, wann ich nicht erreichbar bin: Sonntags, samstags ab mittags, unter der Woche ab 20.30 Uhr. Mir war klar, dass man trotzdem versuchen würde mich zu erreichen, aber ich nahm mir eisern vor, auf solche Kontaktversuche erst innerhalb meiner "Öffnungszeiten" zu antworten. (Es sei denn, die Schule brennt, o.ä.). Um es vorweg zu nehmen: Ich stieß damit nicht bei allen auf Verständnis. Das ist vermutlich auch eine Kehrseite, wenn man engagiert arbeitende Kolleg:innen hat. Einige wollten ihren "Ballast" gerne immer direkt loswerden, ohne zu bedenken, dass dieser dann vor meiner Haustür liegt. Die Natur meiner Position ist dann zwangsläufig, dass dann sprichwörtlich die ganze Einfahrt voller Ballast anderer liegt und für mich kein Durchkommen mehr ist. Da musste ich aber standhaft bleiben, da mir auch klar wurde: Bei allem signalisierten Verständnis sind Mitarbeiter:innen oft nur bedingt in der Lage, meine Position auch mit meinen Augen zu sehen und damit auch die Probleme die sich ergeben. Somit war ich alleine dafür verantwortlich, die Dinge durchzusetzen, die mir halfen um handlungsfähig zu bleiben. Und dazu gehörten gedankliche Auszeiten. Ich habe als Schulleitung nicht 24/7 Bereitschaftsdienst, ich darf auch mal nicht erreichbar sein, wir betreiben schließlich kein Atomkraftwerk. Es wird nichts explodieren, wenn ich eine Auszeit habe.
"Wir wollten dich nicht belasten!"
Was zunächst wie ein netter Gedanke klingt, kann sich zu einem gefährlichen Bumerang entwickeln. Wie alles seine Kehrseite hat, bietet auch der offene Umgang mit Burnout, Stress, Überlastung etc. ein Potential für neue Schwierigkeiten.
Man war der Meinung, mich mit Dingen, aufkeimenden Problemen nicht belasten zu dürfen. Also versuchte "man" es alleine zu regeln, was häufiger in die Hose ging und ich dann zwangsläufig doch involviert wurde, als das Ganze dann explodierte.
Als Schulleiterin hat man kein Burnout
Nov 2021
Schließlich ist man eine Führungskraft und muss den Aufgaben gewachsen sein, also bloß keine Schwäche zeigen!
Tatsächlich habe ich Schulleiter:innen kennengelernt, die eine solche Diagnose nur im vertrauten Kreis besprechen. Gegenüber den Kolleg:innen an der Schule erzählen sie es nicht, bzw. es scheint recht häufig zu sein, dass sich die betroffene Schulleitung an eine andere Schule versetzen lässt. Ich kann es sehr gut verstehen, dass das keine Sache ist, mit der man hausieren geht. Trotzdem hatte ich meine Erkrankung damals offen gemacht, was aber auch den besonderen Umständen geschuldet war und trotzdem habe auch ich nicht nur gute Erfahrungen gemacht.
Auf der anderen Seite habe ich einiges gelernt, was ich dann auch gerne weitergeben wollte, denn ich bin der Meinung, dass so eine Geschichte auch für sowas gut sein kann. Auch sehe ich es sehr positiv, dass psychische Erkrankungen wie Depressionen aktuell durch prominente Unterstützer stärker im Fokus der Öffentlichkeit sind. Ich bin absolut davon überzeugt, dass es hier auch noch mehr Aufklärung braucht, dies bemerkt man u.a. an den Tipps von außen, die man in den unterschiedlichen Phasen erhält.
"Mach doch mal Urlaub, erhol dich mal"
Tatsächlich war Urlaub kurzfristig für mich immer sehr wichtig und hilfreich. Kaum war das neue Schuljahr da, die Ferien rum, hat es ca. 3 Wochen gebraucht und ich war voll drin. Richtig schlimm wurde es, als ich als Rektorin alleine war, der zweite Sommer war fast traumatisch, ich war schon in der letzten Ferienwoche völlig gestresst und wieder ferienreif.
Grund dafür ist, dass ein Burnout nicht einfach nur mit einem Zuviel an Arbeit zu tun hat. Das korreliert häufig, ist aber oft nicht zentral die Ursache. Als ich noch fit war, hat es mir nichts ausgemacht, eine Woche komplett durchzupowern. Zum Schluss war mir der normale Alltag schon zu viel, auch wenn wenig los war.
Befindet man sich auf dem Weg zu einem Burnout ist etwas anderes noch in Schieflage geraten, so dass man nicht mehr resilient sein kann. Meiner Erfahrung nach, hat es viel mit einem kontinuierlichen Verletzung von Grundbedürfnissen (z.B. Anerkennung, Sicherheit etc.) zu tun, gepaart mit einer Verletzung der eigenen Werte. In meinem Fall war ein Grund sicherlich, dass ich eine Vorstellung hatte, in welche Richtung ich mich mit der Schule bewegen wollte. Ich hatte ein Zielbild vor Augen: Eine Schule, in der Kinder ohne Angst lernen. Differenziert und offen, mit neuen Lernkonzepten, jahrgangsübergreifend, inklusiv etc. Dafür rackerte ich mich ab, aber statt darauf zu, bewegte ich mich davon weg. Innovative Konzepte wurden aus Personalmangel wieder gestrichen, die Inklusion lief irgendwann in einer Art Schmalspurvariante ab. Die Kolleg:innen waren ebenso verunsichert und teils frustriert. Je größer die Verunsicherung wurde, umso weniger waren sie bereit, Experimente zu wagen, Neues auszuprobieren. Ich konnte es ihnen noch nicht mal verübeln, gerne hätte ich ihnen das genommen, aber da stieß ich einfach komplett an meine Grenzen.
Hinzu kam, dass ich das Gefühl nicht loswurde, dass der Verwaltungsanteil immer mehr wurde, das bestätigten mir auch SL-Kolleg:innen. Er nahm zuletzt einen fast absurd großen Raum ein, dies erschien mir zum Einen völlig ineffektiv, ich fühlte mich auch nicht als die richtige Person dafür. Ich hatte immernoch eine pädagogische Ausbildung, wollte Zeit haben für Schulentwicklung, für Unterrichtsbesuche etc. Das alles wurde bürokratisch erstickt.
"Mach doch mal was zur Entspannung und lass dich nicht so stressen"
Momente der Entspannung wurden immer schwieriger, weil mein Kopf total besessen davon war, was stattdessen gerade liegen bleibt. Dadurch wurde in Entspannungsphasen die Anspannung immer größer und die Bedrohung: Das schaffst Du alles gar nicht.
Ein Burnout ist ein Teufelskreis, der sich prima selbst am Leben hält. Je länger der Zustand andauerte, umso unproduktiver wurde meine Arbeitsweise, bis ich vor einem Schreibtisch saß, der überquoll und ich einfach keinen Anfang finden konnte. Die Zeit verging, während ich die Stapel anstarrte und bei jedem dachte: "Fang damit an, ach nein, damit bleibt ja DAS DA liegen..." und so drehte es sich im Kreis. Als ich merkte, wieviel Zeit vergangen war, bekam ich Panik und der Gedanke: Das schaffe ich ja nie" wurde eine selbsterfüllende Prophezeihung. Sowas bleibt natürlich nicht lange nach außen verborgen, es fiel irgendwann auf, dass Aufgaben nicht fertig wurden, manches vergaß ich in dem Wirrwarr auch oder dachte, ich hätte es schon gemacht. Das passt so gar nicht in mein Bild von einer guten Schulleitung und ich setzte mich noch weiter unter Druck. Dabei ist es nicht so, dass ich nicht auch gesagt hätte, dass ich Hilfe brauche. Man drückte mir einen Coachinggutschein in die Hand und es gab ein paar tröstende Worte und Durchhalteparolen. Coaching, wann hätte ich dafür noch Zeit haben sollen? Auf der anderen Seite bekam ich regelmäßig einen Tritt vor das Schienbein, weil Dinge nicht rechtzeitig erledigt wurden. Ich begann langsam aber sicher keinen Ausweg mehr aus dem Hamsterrad zu sehen, ich wurde zynisch und das hatte ich eigentlich nie werden wollen.
In der Rückschau wurde mir bewusst, dass ich damit sicherlich widersprüchliche Signale an mein Kollegium gesendet habe, die diese nicht zu deuten wussten. Statt Sicherheit vermittelte ich Unsicherheit, ganz unbewusst. Im Zynismus gab ich die Rolle auf, die Wegweiserin zu sein, die die weiß wo es lang geht. Währenddessen fehlte mir dafür aber jegliche Wahrnehmung, natürlicherweise, denn ich war völlig mit Überleben beschäftigt.
"Nimm es dir nicht so Herzen, sei mal etwas optimistischer"
Es ist nicht so, dass ich den Silberstreif am Horizont nicht sehen wollte, sofern es ihn denn gab. Positive Momente fanden in meiner Wahrnehmung gar nicht mehr statt. Und hier wird es gefährlich: Burnout ist ein Syndrom, welches gerne mit anderen einhergeht, z.B. einer Anpassungsstörung und / oder Depression. Tatsächlich gibt es Burnout als eigenständigen Krankheitsbegriff nicht.
Burnout & Depression hängen gerne zusammen, nicht zuletzt mündet ein unbehandeltes Burnout nicht selten in eine Depression. Der Prozess ist schleichend, es gibt kein auslösendes Element, wie bei einem Trauma, das macht die Diagnose schwieriger. Und was mir bis dahin nicht klar war: Irgendwo hier wird aus einer psychischen Erkrankung auch eine körperliche. Typischerweise gerät, wenn aus einem Burnout eine Depression wird, vereinfacht ausgedrückt im Hirn etwas aus dem Takt. Vermutlich verursachen das Stresshormone, wenn sie über einen langen Zeitraum immer wieder in großem Stil produziert werden. Andere Neurotransmitter, wie Serotonin, stehen im Hirn weniger zur Verfügung, die sorgen für positive Gefühle und eine gehobene Stimmung.
Somit kommt es dazu, dass die Wahrnehmung auf die Welt und auch das Empfinden ein anderes wird. Dies hat mir sehr dabei geholfen zu verstehen, warum es nicht klappt, dass es einem schnell wieder besser geht, der Heilungsprozess so langwierig ist und es hat mir auch geholfen zu verstehen, warum dieser Teufelskreis so schwer zu durchbrechen ist. Ist ein gewisses Maß überschritten, ist es kein Akt des Willens mehr, sich daraus zu befreien, man KANN die Dinge nicht mehr anders sehen und daher auch nicht anders handeln. Ab da braucht es anderweitige Unterstützung wie Psychotherapie und im Falle einer depressiven Verstimmung eines gewissen Schweregrades sind Antidepressiva angezeigt. Die machen nichts anderes, als die Hirnchemie zugunsten der Neurotransmitter wie Serotonin zu beeinflussen, die eine positive Wahrnehmung wieder möglich machen.
Um da herauszukommen, bedurfte es eines Trittes in den Hintern von meiner Ärztin. Die schrieb mich eines Tages einfach krank, auch gegen meinen leichten Protest, der aber mit eher geringem Elan vorgetragen worden war.
Die Krankschreibung an sich war nicht das Problem, eher das schlechte Gewissen: Ich lasse mein Kollegium im Stich, ich bin ja gar nicht richtig krank. Somit stimmte ich auch erst nur zwei Wochen Krankschreibung zu. Ich fiel in ein richtiges Loch, die Symptome wurden immer schlimmer, ich kam fast gar nicht mehr aus dem Bett. Meine Ärztin verordnete mir Massage und Krankengymnastik, weniger weil ich so verspannt war, heute glaube ich, sie gab mir dadurch Gründe, überhaupt aus dem Haus zu gehen.
Am Ende der zwei Wochen bekam ich Angst davor in die Schule zu gehen, mir wurde erst klar, wie krank ich eigentlich schon war. Meine Ärztin verlängerte mit einem wissenden Lächeln meine Krankschreibung auf drei Monate. Ich musste ganz schön schlucken, aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Als die Krankschreibung auf dem Weg zur Schule war, hatte ich endlich die nötige Distanz, um mich auf eine Heilung einzulassen. Ich begann die Schule komplett auszublenden. Neben der medikamentösen Einstellung war es die Psychotherapie, die mich wieder auf das Gleis setzte.
Am Ende der drei Monate verlängerte ich nochmal um einen Monat, es ging mir besser, aber ich war endlich in der Lage, meinen eigenen Zustand realistisch einzuschätzen und daher wusste ich, dass ich noch nicht ganz soweit bin. Ich begann meine Rückkehr langsam zu steuern. Mir war dabei wichtig, dass ich die Zügel in der Hand hatte, wann ich mich mit was auseinandersetzen wollte.
Trotzdem war die Rückkehr, gerade als Schulleiterin, nicht einfach. Aber ich denke, dass ist wieder genug Stoff für einen eigenen Beitrag.
Fazit: Kommt Euch / Ihnen davon etwas bekannt vor? Scheut Euch / Scheuen Sie sich nicht einen Arzt zu konsultieren. Durchhalten ist keine valide Option.
Neue Wege gehen - Eine weitreichende Entscheidung
Aug 2021
Im Frühjahr 2021 habe ich an meine dienstvorgesetzte Dezernentin geschrieben: "Ich möchte Ihnen mitteilen, dass ich zu Ende Juli meinen Beamtenstatus kündige." Keine zwei Stunden später hatte ich sie am Telefon.
"Sie kehren also der Schule den Rücken?" - "Nein, Frau X, ich kehre nicht DER Schule den Rücken, ich kehre dem staatlichen Schulsystem den Rücken." Stille am anderen Ende der Leitung.
Für mich war es nach über 10 Jahren Verbeamtung der letzte konsequente Schritt eines langen Abwägungsprozesses.
Um diesen zu verstehen, muss ich kurz darauf zurückkommen, warum ich diesen Weg überhaupt eingeschlagen habe. Nach meiner eigenen Schulzeit, die ich alles andere als genossen habe, schlug ich mit Freundinnen den Weg des Grundschullehrerstudiums ein. Warum wird jemand Lehrerin, für die der letzte Tag am Gymnasium der bisher größte Anlass zur Freude war?
Mich beschäftigte die Frage, warum Schule nicht eine schöne Erfahrung sein kann, in der man eine selbstbewusste Persönlichkeit wird. Somit war das Ziel klar: Ich wollte herausfinden, wie eine solche Schule aussehen kann. Die ersten Antworten fand ich nach ein bisschen Suche im Studium. Während des Referendariats erhielt ich durch eine tolle Mentorin die Möglichkeit mich und meine Ideen auszuprobieren. Das gab mir Hoffnung.
Als junge Lehrerin wolle ich so weitermachen, lernte aber schnell, dass die Realität einem schnell Grenzen aufzeigt. Ich lernte auch, dass ein Ziel und schöne Ideen zu haben nicht überall gleich gut ankommt. Ich war ehrlich überrascht, dass ich gerade bei Eltern auf Ablehnung stieß, wo es mir doch um das Wohl der Kinder und um ihren Lernerfolg ging. Irgendwann begriff ich, was eigentlich dahinter steckte, das ist aber wohl Stoff für einen eigenen Beitrag.
Schnell musste ich auch merken, dass einige Ideen durch die Regulierungen des Systems im Keim erstickt wurden und ich konnte oftmals meine Kolleg:innen nicht überzeugen, einen anderen Weg zu gehen. Dabei waren sie der Idee gegenüber gar nicht ablehnend eingestellt, aber die unterschwellige Angst, sich dadurch Schwierigkeiten aufzuhalsen, war allgegenwärtig und ließ viele zögern.
Als Lehrerin kam ich nicht weiter und es ergab sich die Chance, an einer neuen Schule Konrektorin zu werden. Wenn man als Lehrkraft schon nicht so viel verändern kann, dann doch aber in der Schulleitung, oder? Nach einem etwas holprigen Start, in dem ich mich in der neuen Schule zurechtfinden musste und auch darum kämpfen musste, akzeptiert zu werden, kamen ein paar Dinge ins Rollen. Mit einigen Kolleg:innen zusammen gründeten wir ein neues Fach: die Lernwerkstatt. Ohne Notendruck, in dem Kinder ihre eigenen Projekte verwirklichen können.
Mit der Zeit spürten wir ziemlich heftig die Auswirkungen des Lehrer:innenmangels im Bereich Grundschule. Neue Konzepte wurden schwieriger durchzusetzen, weil dafür -erfahrenes- Personal fehlte. Dann kam die Hoffnung, als Schulleiterin die Zügel in die Hand nehmen zu können. Im Rahmen der Altersnachfolge konnte ich an der gleichen Schule Rektorin werden.
Der Dämpfer kam nach den Sommerferien: Die Konrektorenstelle wurde so schnell nicht nachbesetzt. Letztendlich habe ich anderthalb Jahre alleine auf dem Posten verbracht. Das in einer Zeit, in der die Not im Personalbereich immer größer wurde, die Inklusion uns um die Ohren zu fliegen drohte und auch sonst alle möglichen Brandherde aufzuflammen begannen.
Die Hoffnung auf Veränderung war da schon nur noch ein sehr entferntes Echo und im Alltag gar nicht mehr spürbar. Ich versuchte permanent, das Schiff am Sinken zu hindern, stopfte Löcher, löschte Brände und zwischendurch versuchte ich das Nötigste zu regeln. Was ich an mir selbst nicht mochte; Ich begann zynisch zu werden. Schnell war ich auch mit meiner eigenen Arbeit nicht mehr zufrieden und es kam der Tag, nach einer langen Durststrecke, an dem mich meine Ärztin aus dem Verkehr zog.
"So geht das nicht weiter, ich schreibe sie für zwei Wochen krank." Aus zwei Wochen wurden vier Monate und nach dem anfänglichen Schock begann ich nachzudenken, auch dank professioneller Unterstützung.
Es kristallisierte sich immer wieder heraus, dass ich meilenweit davon entfernt war, die Werte in meinem schulischen Alltag zu leben, die mir wichtig waren und das machte mich krank. Ich war alles andere als leise gewesen, während meiner Schulleitungszeit, habe Chancen genutzt um auf die Probleme unserer Schule, aber auch des Systems aufmerksam zu machen. Irgendwann merkte ich, dass es ein Muster gab, wie darauf reagiert wurde: Mir wurde sprichwörtlich etwas der Kopf getätschelt "jaja, das ist wirklich schlimm" und dann verlief sich die Sache im ministeriellen Nirwana.
Für mich war das nicht mehr der richtige Weg, weil es sich wie ein Kampf gegen Windmühlen anfühlte, dafür fehlte mir langfristig die Energie. Ich kehrte an meine Schule zurück, um die Dinge zu ordnen und auch, um mir Klarheit zu verschaffen. Während des Krankseins hatte ich ein Stück wieder zu mir gefunden, zu dem was mir wichtig ist und aber auch zu der Möglichkeit, mich selbst wieder weiterzuentwickeln. Den Zustand wollte ich nicht wieder aufgeben. Die Zeit in der Schule war dann der Lakmustest, ob auch im Schulalltag dieser Zustand aufrecht erhalten werden kann. Davon wollte ich meine letztliche Entscheidung abhängig machen.
Recht bald war ich wieder im Sog des alten Trotts und damit fiel die Entscheidung: Ich steige aus. Ich beschloss das Schuljahr noch zu Ende zu führen und dann Neues zu wagen. Mit der Entscheidung fiel eine große Last von mir, obwohl ich noch ein paar Monate Schulleiterin sein würde. Paradoxerweise fiel mir die Arbeit sogar leichter, was vermutlich daran lag, dass ich mich mit dem Moment der Entscheidung von allem zu distanzieren begann. Währenddessen hielt ich Ausschau nach Neuem, spielte eine Weile mit dem Gedanken, an die Privatschule zu gehen. Aber dann wurde mir klar, ich hatte noch nie wirklich die Gelegenheit, mich auszuprobieren, meine Grenzen auszutesten. Somit kam eine neue Anstellung nicht in Frage und der Entschluss Selbständigkeit war gefasst, auch wenn ich einen höllischen Respekt davor hatte und auch noch habe. Gleichzeitig wurde ich aber auch fast kribbelig, weil so vieles nun möglich sein würde.
Als Fazit muss ich sagen, dass das Konzept Verbeamtung für mich auch einfach nicht so gut funktioniert. Ich mache die Dinge gerne auf die Art, die ich für gut und richtig halte. Diese Art ist aber unter Umständen unkonventionell und würde von allen andern im System erfordern, sich darauf einlassen zu können. Flexibilität in dieser Hinsicht ist aber sicher nicht ein wesentliches Merkmal des Beamtentums.
An dieser Stelle stehe ich nun heute und bin immer noch sehr froh darüber, diese Entscheidung getroffen zu haben.